Donnerstag, 16. Juni 2016

England: Brexit ist der einzige Weg, wie die Arbeiterklasse etwas verändern kann



Lisa Mckenzie
15. Juni 2016


Aus dem Englischen: Einar Schlereth
Demo gegen die Wohnungsnot
Ich habe mein ganzes Leben in Arbeiterklasse-Vierteln gelebt und jetzt, wo ich über diese Gemeinden forsche und schreibe als eine Akademikerin der Arbeiterklasse, ist meine Motivation, dass die Stimme einer authentischen Frau der Arbeiterklasse unsere Geschichte erzählt.

Die Stimmen der Arbeiterklasse werden selten außerhalb ihrer Gemeinschaften und Viertel gehört und beinahe nie in der politischen oder Medien-Sphäre. Doch die Debatte um das EU-Referendum hat eine Pandora-Büchse geöffnet von Wut und Frustration der Arbeiterklasse. Es ist klar, dass die Westminster-Politiker dadurch genervt werden. Selbst ich bin überrascht, wie das Referendum die Aufmerksamkeit und die Vorstellungskraft eben jener Menschen gefangen genommen hat, die mir noch im vorigen Jahr erzählt haben, dass sie kein Interesse an allgemeinen Wahlen hätten, „weil 'sie' alle gleich sind“.

Nur 13 Monate später fragen sie mich, was ich denke und diskutieren mit mir über die Feinheiten von Brexit. In Kreise der Arbeiterklasse ist das EU-Referendum beinahe ein Referendum über alles geworden. In den Cafés, Pubs und den Schenken im Osten Londons, wo ich wohne und wo ich meine Untersuchungen über das Leben der Londoner Arbeiterklasse seit drei Jahren anstellte, wird kaum über etwas anderes gesprochen (obwohl der Fussball seit kurzem dazugekommen ist). In Ost-London geht es um Wohnungen, Schulen und die niedrigen Löhne. Die Frauen sorgen sich um ihre Kinder und ihre alten Eltern – was wird mit ihnen sein, wenn die Mieten noch mehr steigen? Der Mangel an erschwinglichen Wohnungen ist erschreckend.


In den Bergwerkstädten von Nottingham, von wo ich komme, geht die Diskussion auch um Brexit und selbst vormalige streikende Bergarbeiter stimmen für 'raus aus EU'.

In den Bergwerkgemeinden ist man auch besorgt über den Mangel an sicherer und bezahlter Arbeit, den Mangel an Pubs und die aufreibende Armut, die den Norden erfasste. Die Rede über Einwanderung ist nicht so vorherrschend und so weit oben auf der Sorgen-Liste, wie Teile der Medien uns glauben machen wollen. Die Einwanderer-Fragen sind immer Teil der Debatte, aber nicht ausschließlich.

Auf Basis meiner Untersuchungen kann ich sagen, dass die Referendum-Debatte in der Arbeiterklasse nicht um die Immigration geht, trotz der Rhetorik. Sie dreht sich um die schwierige Lage und um Angst. Wie mir eine Gruppe von Frauen aus Ost-London sagte: „Ich hab' es satt, Rassistin genannt zu werden, weil ich mir Sorgen um meine Mama und mein eigenes Kind mache,“ und „Ich missgönne keinem ein Dach, der es braucht, aber wir kommen auch nicht zurecht“.

In den vergangenen 30 Jahren hat es eine ununterbrochene Attacke auf die Arbeiterklasse, ihre Identität, ihre Arbeit und ihre Kultur gegeben durch die Westminster-Politiker und das Medien-Gedönse drumherum. In der Folge haben sie aufgehört, auf die Politiker zu hören und auf Westminster, und sie tun, was jeder Politiker fürchtet: sie benutzen ihre eigenen Erfahrungen bei der Beurteilung dessen, was für die Arbeiterklasse ist und was gegen sie.

In den vergangenen paar Wochen der Kampagne ist die Rhetorik schärfer geworden und die Schuldzuweisungen begannen. Wenn wir die EU verlassen, wird es die Schuld der „dummen“, „ignoranten“ und „rassistischen“ Arbeiterklasse sein. Wann immer die Arbeiterklasse versuchte, über die Effekte der Immigration auf ihr Leben zu sprechen, wurden Sprüche wie „rückständig“ und „rassistisch“ üblich von Seiten der Mittelklasse.

Die „Metropolen-Elite“ der Labour-Partei riskiert, die EU-skeptischen Anhänger an die Ukip verlieren (Partei für die Unabhängigkeit des Vereinigten Königreichs; wird bei uns als rechts eingestuft. D. Ü.) , weil sie deren Ansichten über Europa ignorieren, sagt der Parlamentarier Frank Field.

Die Leute der Arbeiterklasse in England sehen eine Chance, dass sich etwas ändern könnte, wenn sie für den Austritt aus der EU stimmen. Die Frauen in Ost-London und die Männer in den Bergwerksorten – sie alle sagen mir, dass das Schlimmste wäre, wenn alles beim Alten bliebe. Das Referendum ist ein Weg geworden, wo sie was zu sagen haben, und sie sagen kollektiv, dass ihr Leben vorher besser gewesen ist als heute. Und sie haben Recht. Sie immer lauter als „Rassisten“ und „Ignoranten“ zu beschimpfen, wird nichts helfen – sie haben aufgehört zuzuhören.

Für sie betrifft das Reden über Immigration und Angst vor der Immigration zu haben, die schwierige Lage der Arbeiterklasse, bei der die grundlegenden Bedürfnisse nicht mehr gesichert sind. Deswegen wollen sie Veränderung. Das Referendum hat einen Abgrund der Ungleichheit in England geöffnet und die Monster einer tief gespaltenen und ungerechten Gesellschaft kriechen hervor. Sie werden nicht so leicht verschwinden, egal, wie das Referendum ausgeht.

Quelle - källa - source

3 Kommentare:

  1. Den Brexit wird es nicht geben. Das Resultat ist schon vorherbestimmt, egal wie die Abstimmung ausgeht. Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. pedrobergerac:

      Ob mit oder ohne Brexit. Dieses System wird untergehen.

      Löschen
    2. Deine Meinung wurde schon nach sechs Tagen wiederlegt.

      Löschen