Samstag, 16. April 2016

Ein syrisches Déjà vu

Seit Syrien als Land von den Westmächten geschaffen wurde im Nachspiel des ersten Weltkrieges ist das Land ständig starkem Druck von außen ausgesetzt gewesen. Hans Öhrn schreibt über die Geschichte Syriens, das immer ein wichtiger Eckstein im Spiel der Großmächte gewesen ist.
2012 standen Hans Öhrn, unser Freund Hashim al-Malki und ich reisefertig in Stockholm, um nach Damaskus zu fliegen. Zwei Stunden bevor ich bei Hashim durch die Tür kam, war die Reise gecanselled worden, da man unsere Sicherheit nicht gewährleisten konnte.  Kurz danach machte Hashim den zweiten Versuch, der erfolgreich war, doch konnte ich leider nicht teilnehmen. Er hat sich seitherintensiv mit dem Land auseinandergesetzt und ein Ergebnis ist dieser Artikel.

Ein syrisches Déjà vu
Hans Öhrn
FiB4/ 2016


Aus dem Schwedischen: Einar Schlereth


"Im Frühjahr 1957 bekam der Chef von Syriens Nachrichtendienst Abdul Hamid Sarraj Besuch von einer Reihe bekümmerter Armeeoffiziere mit Taschen voller Dollar. Das Geld hatten sie von ein paar „unzuverlässigen und boshaften“ Beamten in der US-Botschaft in Damaskus erhalten gegen das Versprechen, an einer CIA-finanzierten Operation zum Sturz der syrischen Regierung teilzunehmen.
Syriens damaliger, demokratisch gewählter Präsident Shukri al-Quwwatli hatte im Jahr zuvor mit der Sowjetunion ein Kooperationsabkommen geschlossen, nachdem ihm die USA Hilfe verweigert hatten, weil Washington vielen Männern um al Quwwatli misstraute. Syrien hatte auch erklärt, dass das Land eine „neutrale“ Haltung im Kalten Krieg zwischen den Großmächten der Welt einnehmen wollte, der damals in vollem Gang war. In den Augen der USA ein Verrat, weshalb sie al-Quwwatli loswerden wollte.

Deshalb war „Rocky“ Stone, ein erprobter CIA-Agent aus Teheran, wo er beim Sturz von Irans Premier Muhammad Mossadeq mitgeholfen hatte, der die Frechheit besessen hatte, sich Englands und Amerikas Öl-Interessen in den Weg zu stellen, nach Damaskus geschickt worden. Gleichzeitig glaubte Mossadeq mehr an Versprechen der USA, sich nicht in Irans innere Angelegenheiten zu mischen, als seinen Ratgebern, die ihn vor der CIA gewarnt hatten. Daher war er unter Stones Leitung gestürzt, vor Gericht gestellt und von einem Militärgericht zum Tode verurteilt worden.

Es war Stone, der versucht hatte, die syrischen Offiziere zu bestechen. Die meisten hatten schon Erfahrung mit Typen wie Stone und enthüllten also die Pläne dem Geheimdienst-Chef Sarraj. Der zögerte keine Sekunde, sondern ließ die US-Botschaft von Panzern umstellen und ließ seine Soldaten Stone verhaften, der gezwungen wurde, öffentlich die schmutzingen Pläne der USA gegen Syrien zu erzählen.

In Washington ging Präsident Eisenhower an die Decke und setzte sofort die große Dementi-Maschine in Gang. Das ganze Gerede, dass die USA Syriens Regierung stürzen wollte, sei Lüge und verdammte Dichtung, laut Eisenhower. Die Medien in den USA kabelten bereitwillig die Dementis aus dem Weißen Haus in die Welt und die Bevölkerung glaubte an ihre Regierung und ihre Medien. Deshalb weckten die enthüllten Pläne keine Empörung in den USA und dem Westen.

Sarraj war seinen Offizieren großen Dank schuldig. 2003 tauchte Dokumente auf, die zeigten, dass sowohl Washington als auch London gebilligt hatten, dass er zusammen mit Syriens Oberbefehlshaber Afif al-Bizri und dem Kommunistenführer Khalid Bakdash beim Staatsstreich ermordet werden sollte. In Washington und London saßen kaltblütige Mörder an der Macht, aber ihren Bürgern wurde die gegenteilige Auffassung beigebracht: dass die kaltblütigen Mörder in Damaskus säßen und „the good guys“ in den eigenen Hauptstädten.

Diese falsche Auffassung geht wie ein roter Draht durch Syriens moderne Geschichte bis zum heutigen Tag.

Die Ereignisse von 1957 werden teilweise von Robert F. Kennedy Jr. in einem kürzlich publizierten Artikel beschrieben, in dem er hart ins Gericht geht mit den Medien der USA und deren falscher Beschreibung Syriens und seiner Geschichte. Als Sohn des ermordeten Robert F. Kennedy und Mitglied der mächtigen Kennedy-Klans hat er normal Zugang zu allen Prestigemedien in den USA, wenn er mal was zu sagen hat. Den Syrien-Artikel musste er jedoch in der etwas konservativen Zeitung Politico veröffentlichen. Trotz einiger Schönheitsflecken (Die einzige Rolle der USA in Westasien muss es sein, Israels Grenzen zu sichern) ist es nicht nur ein gut geschriebener Artikel sondern auch ein gut dokumentierter Überblick, wie die USA und andere Westländer die ganze Zeit die Geschichte in eine Richtung führten, die ihren eigenen Interessen diente.

Coups und Manipulationen wurden immer begleitet von Desinformations-Kampagnen in den wichtigsten Städten des Imperiums. Alle Ereignisse im Nahen Osten, von der kleinsten Unruhe bis zum schrecklichsten Blutbad, wurden immer als Produkt lokaler Despoten und Tyrannen oder religiösen Fanatiker geschildert.

Stone versuchte nicht nur, syrische Offiziere zu bestechen; er konspirierte auch mit der Moslem-Bruderschaft und gründete eine Quisling-Organisation „Das freie syrische Komitee“, das die Macht nach Quwwatli übernehmen sollte. Als Washingtons Versuch missglückte, mobilisierte man sofort seinen Vertrauten in der Region – damals wie heute – die Türkei. 50 000 Mann türkische Truppen wurden an Syriens Grenze geschickt bereit zum Einmarsch. Da wurde der Invasionsversuch vereitelt und Syrien gab die Pläne einer Union mit Ägypten bekannt. Die gesamte panarabische Welt herauszufordern, wagte nicht einmal die USA zum damaligen Zeitpunkt.

Wer also Syriens Geschichte kennt und heute über die „Freie syrische Armee“ oder dem „Syrischen Nationalen Rat“ liest, die bereitstehen, um die Macht nach dem Despoten in Damaskus zu übernehmen, brauchen sich nicht über das déjà vu Erlebnis zu wundern; diesmal stimmt es und es ist schon vorher passiert.

Bereits 1949 war die neu gebildete CIA mit dabei, eine Regierung in Syrien zu stürzen. Patriotische Syrer hatten ein paar Jahre zuvor Nazi-Deutschland den Krieg erklärt und hatten ihre verhassten Kolonialherren des Vichy-Regimes hinausgeworfen. Es wurde ein schwacher Staat gegründet, der hauptsächlich nach Ideen aus den USA geschaffen war. Aber als der – damals schon - demokratisch gewählte Shukri al-Quwwatli gegen die Pläne der USA einer Ölleitung war, die Saudiarabiens Ölfelder mit Libanons Häfen verbinden sollte, wurde er gestürzt und mit den von den USA handverlesenen Husni al-Zaim ersetzt. Er hielt sich nicht lange an der Macht. Aber der Krieg der CIA, USA und anderer Westländer gegen alle nationalen und pan-nationalen Bestrebungen, die ihre Interessen bedrohten, hat eine lange Geschichte.

400 Jahre der osmanischen Herrschaft gingen zu Ende, als britische und arabische Streitkräfte Damaskus am Ende des 1. Weltkrieges einnahmen. Das Land wurde von den Siegermächten auf die Karte reingemalt und wurde unter König Faisal I selbstständig. Aber die Briten und Franzosen konspirierten und hatten ihre eigenen Pläne. In einem heimlichen Abkommen (Sykes-Picot) wurde Syrien und andere Länder aufgeteilt. Als die Syrer protestierten, invadierten die Franzosen einfach das Land.

1923 benutzten die Franzosen den Völkerbund (Vorgänger der UNO), um ihr Mandat über Syrien zu billigen. Die Syrer erhoben sich immer wieder gegen die Franzosen und aus Rache hatten diese keine Bedenken, syrische Städte mit Terorbombardements zu überziehen, vor allem Damaskus. Aber der französische und britische Imperialismus waren dazumal im Niedergang. 1956 wurden die alten Imperium vom transatlantischen Imperialismus der USA im Zusammenhang mit der Suez-Krise ersetzt, als ihnen mit aller Deutlichkeit gesagt wurde, wer in der Welt zu bestimmen hatte. Die USA hatten nie den Plan Frankreichs, Englands und Israels gebilligt, Ägyptens Präsident Nasser zu stürzen und den Suez-Kanal su besetzen. In der ganzen modernen Geschichte hat Syrien immer wieder westliche Interessen herausgefordert und dafür einen hohen Preis bezahlt.

Syrien ist eins der wenigen arabischen Länder, das nie einen Frieden mit Israel geschlossen hat und immer den Kampf der Palästinenser unterstützte. Das gefeierte Oslo-Abkommen, von den meisten Palästinensern als eine „verhandelte Niederlage“ abgelehnt, wurde von Syrien verurteilt, das immer gefordert hatte, dass Israel das ganze arabische Land zurückgeben müsse. Sowohl im Sechs-Tage-Krieg 1967 zwischen dem expansionistischen Israel und der Mehrzahl der arabischenLänder und im Oktoberkrieg 1973 spielte Syrien eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den Imperialismus. Die Strafe war hoch. Syrien verlor die Golanhöhen, die immer noch von Israel besetzt sind trotz des UNO-Beschlusses, sie Syrien zurückzugeben.


In den jüngsten Attacken gegen Syrien, die 2011 begannen, hat Israel von dort aus verschiedene Terroraktionen gegen Syrien verübt. Die Welt hat dazu geschwiegen.
In den 1980-er Jahren war Syrien ein scharfer Gegner des Kriegs zwischen Irak und Iran, das stark vom Westen unterstützt wurde, um die arabische Welt zu schwächen. Es war ein falscher Krieg, zum falschen Zeitpunkt und gegen einen falschen Feind, erklärten die Führer in Damaskus. Anfang der 1990-er Jahre war Syrien zusammen mit libanesischen Verbündeten sehr daran gelegen, den Bürgerkrieg im Land zu beenden, der seit 1975 tobte. Die syrische Anwesenheit im Libanon – ursprünglich ein Teil Syriens, das von den Franzosen herausgeschnitten wurde – war ein Stabilisierungsfaktor. Frieden und Stabilität im Nahen Osten liegen aber nicht im ökonomischen Interesse der Westländer. Daher wurde Syrien 2005 gezwungen, Libanon zu verlassen nach einer gut organisierten Kampagne des Westens, in der Syrien die Schuld am Mord von Libanons Premierminister Rafiq Hariri bekam.

Gleichzeitig waren Bashar al-Assads neoliberalen Pläne, die gut in die Strategie des Westens passten, auf Widerstand des Volkes gestoßen, was die Regierung zum Rückzug zwang. Das sah man nicht mit Wohlwollen in Washington, London und Paris. Nachdem Bashar al-Assad „zum Klub gehört hatte“, wurde er und seine Regierung zum Paria und einer niederträchtigen Schmutzkampagne ausgesetzt wie al-Quwwatli durch Eisenhower.
Der Rest ist Gegenwartsgeschichte


Während die gefügigen Medien in den USA bedenkenlos die Story hochrülpsen, dass unser militärisches Eingreifen zu Gunsten der Opposition strikt humanitär ist, sehen die meisten Araber dies als einen weiteren Stellvertreterkrieg für Öl und geographische Dominanz. Bevor wir uns noch mehr in den Konflikt stürzen, wäre es klug von uns, die überwätigenden Fakten zu bedenken, die gegen eine solche Perspektive sprechen“, schreibt Kennedy. Kluge Worte, die man sich merken sollte – nicht nur in den USA sondern auch hier. Selbst in Schweden kolportieren die Medien ein einseitiges Bild des gegenwärtigen Konfliktes in Syrien.
USAs widerliche Geschichte militärischer Intervention in Syrien – unbekannt für die meisten in den USA, aber Arabern gut bekannt – hat den Grund gelegt für den gewalttätigen Dschihadismus, der jetzt alles für unsere Regierung so kompliziert macht,“ schreibt Kennedy weiter. Er meint natürlich die IS und dass es die Destabilisierung des Westens ist, wodurch die IS entstand, gibt es durchaus Gründe. Es gibt natürlich auch andere Ansichten. Kürzlich hat Außenministerin Margot Wallström ihren für Syrien verantwortlichen Botschafter Niklas Kebbon auf einer öffentliche Versammlung in Stockholm von der Koppel gelassen. Da meinte er, dass die IS eine Konspiration von Russland und der Regierung in Damaskus sei. Durch die Schaffung von IS gaben sie dem Westen keine andere Wahl – er musste al-Assad der IS vorziehen.
Kennedy fordert die Politiker und die Öffentlichkeit in der USA auf, sich mit der Geschichte zu befassen um zu verstehen, was in Syrien passiert. Dies gilt auch für Schweden. In einem ruhigen Teil der Welt ist es leicht, die Schlussfolgerung zu ziehen, dass das eigene Land und seine Politik nichts mit den Krisen der Welt zu tun habe. Aber um (einen anderen) Kennedy zu travestieren: Fragt nicht, was die Führer anderer Länder tun, sondern frage, was die Führer deines Landes tun.


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