Mittwoch, 22. August 2012

'Der Mann, der jeden kannte' – Gore Vidal mit den Augen der Ein-Prozent-Presse


3. Oktober 1925 – 31. July 2012
David Edwards
20. August 2012

Gore Vidal hatte großes Vergnügen daran, die zerbrechlichen Gebilde der „Mainstream“-Politik auseinanderzunehmen. Während die Journalisten des Mainstream typischerweise US-Präsidenten als gütige Halbgötter portraitieren, beschrieb Gore Vidal George W. Bush als 'den dümmsten Mann in den Vereinigten Staaten'. 2008 sagte Vidal über den Irak-Krieg:

'Man kann den kleinen Bush sehen, wie er die ganze Zeit von Krieg träumte und auch Cheney träumte von Ölquellen und wie man ein Land wie Irak zerschlägt und natürlich wird deren Öl die Schäden bezahlen, die wir anrichten. Allein für das hätte er vor ein Erschießungskommando gehört … Sie – Cheney, Bush – sie wollten Krieg. Sie sind Öl-Männer. Sie wollen einen Krieg, um mehr Öl zu bekommen. Sie sind auch außerordentlich blöde. Diese Leute haben von nichts eine Ahnung.'


Als er gefragt wurde, wie er erinnert werden möchte, antwortete Vidal: 'Ich pfeife darauf.'

Auch gut. Wie die obigen Kommentare erläutern, haben Vidals Analysen keinerlei Ähnlichkeit mit dem, was die Mainstream-Journalisen 'Nuancierung' nennen. Er überschüttete den ganzen Berufsstand mit Verachtung:

'Ich versuchte, dem Presseklub zu erklären, was das ist, was sie tun und nicht wissen, dass sie es tun. Ich zitierte David Hume: „Die Wenigen sind in der Lage, die Vielen nur über Meinung zu kontrollieren.“ Im 18. Jh. verzichtete man auf der Kanzel und in der Schule auf Meinung. Jetzt haben es die Medien übernommen, uns Meinung zu geben, die in den Vorstandszimmern jener Unternehmen – einst national, jetzt international – fabriziert werden, die unser Leben kontrollieren.' (Vidal 'Virgin Islands – Essays 1992-1997', Andre Deutsch 1997, S. 188)

Dies ist natürlich derselbe 'Presseklub', der Vidals Leben und Werk seit seinem Tod am 31. Juli bewertet.

Sex, Fahne, Fötus


Vidal, ein gefeierter Romancier, Essayist und Drehbuchautor konzentrierte sich in seinen beiden letzten Lebensjahren überwiegend auf radikale politische Analysen. Er schrieb Bücher mit Titeln wie 'Perpetual War for Perpetual Peace', 2002 (Ewiger Krieg für Ewigen Frieden), 'Dreaming War – Blood for Oil und the Cheney-Bush-Junta', 2003 und 'Imperial America: Reflections on the United States of Amnesia', 2004 (Imperiales Amerika: Gedanken über die Vereinigten Staaten der Amnesie). Vidal behauptete, dass die Multis die Demokratie in den USA gestürzt hätten und einen permanenten Krieg um Profit rundum in der Welt führten.

Wieviel Aufmerksamkeit können wir also erwarten, die von den Mainstream-Medien erübrigt wird, um Vidals abweichende politische Meinung korrekt und ehrlich bei der Beurteilung seines Werkes wiederzugeben? Dieser Kommentar von 1998 zeigte seine eigene Erwartung:

'Wenn ein herrschendes Establishment auf ihre Arbeit kein Tageslicht fallen lässt, weil sie die Medien besitzen, den größten Teil des Kongresses, der Judikative und Exekutive permanent gepachtet haben, dann kann man bei Wahlen über nichts weiter als über Sex, die Fahne und Foetus sprechen, und in den guten alten Zeiten über Kommunismus. Der Fakt dass Clintons Sexleben jetzt im Zentrum unserer politischen Debatte steht, entspricht dem gegenwärtigen Zustand.' (Vidal 'New World Ordure' (Neuer Weltgestank, Wortspiel mit Ordnung und Ordure), 25. Januar 1998)

Und tatsächlich haben die Nachrufe auf Vidals Leben sich hauptsächlich auf 'Sex, Fahne, Foetus' konzentriert, wobei Literaturrezensenten die Führung übernahmen. Im Independent macht Boyd Tonkin die Eröffnung:
'Eines Abends, als ich mit Gore Vidal speiste, erzählte er mir alles über die Zeit, als er seinen guten Freund Jack Kennedy bei Wahlen besiegte. Gibt dies den aalglatten Ton des beiläufigen  Namenfallenlassens und allwissenden verstorbenen Meisters wieder?'

Gaby Wood schrieb in The Telegraph, Head of Books:
'Es gab eine Zeit, wenn ein Besuch bei Gore Vidal in seiner Villa in Ravello das literarische Äquivalent für Lourdes war … Er war verwandt mit Jackie Kennedy, er führte (erfolglos) Wahlkampf mit Eleanor Roosevelt. Er schüttelte den Kopf über Hollywood-Stars der goldenen Zeit, als ob er ihre Jungferntante gewesen wäre, die die unglückliche Wahl eines Freundes beklagte („Also, Rita [Hayworth] hat niemals Glück gehabt“) …'

Undsoweiter

So wird das Leben eines wichtigen politischen Abweichlers reduziert und durchs Sieb passiert auf den 'Kultur'-Seiten der Ein-Prozent-Presse, was einen klebrigen Rückstand von 'Berühmtheit' und 'Glamour' hinterlässt. Wood fügte hinzu:

'Vielleicht fällt es Fremden nicht ein zu fragen, ob der große literarische Salonlöwe bitter war, weil er allein war. Aber am Ende wurden seine berühmten Bonmots so ausländisch, dass sie viele seiner Bewunderer durcheinanderbrachten. War es das Trinken, das Älterwerden oder eine ständige Hingabe, unvorhersehbare Meinungen zu haben? Manche rollten die Augen, andere lachten und einer oder zwei wenigsten nahmen es auf sich, ihn zur Verantwortung zu ziehen.'

Im Telegraph bemerkte Philip Hensher, dass Vidal 'der Mann war, der jeden kannte'. Aber es gab eine dunkle Seite: 'eine ungeheure Serie von perversen, aber außerordentlich gut informierten Quer-Auffassungen von amerikanischer Geschichte' und 'sogar noch mehr perverse Essays über öffentliche und literarische Angelegenheiten'.

Das erinnert an Steve Crawshaw’s Kommentar im Independent über Chomsky, 'der so viel weiss … aber unempfindlich für jede Nuance zu sein scheint'. (Crawshaw 'Furious ideas with no room for nuance' (Wütende Ideen mit keinem Raum für Nuancen), The Independent, 21. 02.2001)

   Hensher hatte nichts Ernsthaftes darüber zu sagen, warum Vidals Lesarten der amerikanischer Geschichte als 'pervers' angesehen werden sollten. Im Independent beschrieb Christopher Hawtree, wie Vidal auf sein Land der Geburt immer mit 'schiefem Blick' schaute. Die Leser mussten selbst herausfinden, was das bedeuten könnte, wenn er Vidals 'Opposition gegen die Israel-Lobby in Amerika' als Wegwerf-Hinweis anbot.

Andrew Sullivan lieferte mit einem Zitat Vidals in der Sunday Times einen der seltenen Mainstream-Hinweise auf das, was Hensher und Hawtree sicherlich meinten:

'Es gibt nur eine Partei in den USA, die Eigentums-Partei … und sie hat zwei rechte Flügel: den republikanischen und den demokratischen. Die Republikaner sind ein bisschen dümmer, rigider, doktrinärer bei ihrem laissez-faire Kapitalismus als die Demokraten … Aber im Grunde gibt es keinen Unterschied zwischen den beiden Parteien.' (Andrew Sullivan 'The twin sources of Vidal's Vitriol; The death of a young love and despair for his country gave the writer his voice' (Die zweifache Quelle von Vidals Gift: Der Tod einer jungen Liebe und die Verzweiflung über sein Land gaben dem Schriftsteller seine Stimme', Sunday Times, 05.08.2012)

    Dann beobachtete Sullivan klar, dass mit Bezug auf das Amerika des 20. Jhs. Vidals 'Zorn, Wut und sein Groll die Oberhand gewannen'.
Und leider befiel dieselbe Krankheit den verstorbenen Harold Pinter. In The New York Times fand James Traub die Politik des Theaterautors 'so extrem … dass man sich schwer jemand vorstellen kann außer Noam Chomsky und Gore Vidal, die nicht an Pinters Wut erstickten'. (Traub 'Their Highbrow Hatred of Us' (Ihr hochmütiger Hass auf uns), New York Times, 30.10.2012)

Die klugen Köpfe der Mainstream-Medien waren gelegentlich verwirrt über Pinters schlecht funktionierende moralische Gallenblase. Im Independent schrieb der altkluge Johann Hari:
'Seit Pinter ein Teenager war, ist er unaufhörlich 'dagegen' gewesen, trat gewaltsam gegen alles auf, was seinen Zorn an dem Tag erregen könnte.'
Pinter war einfach ein verrückter Klassiker und das Ziel seines Zorns zufällig.

Sullivan fand zumindest etwas mehr Methode in Vidals Wahnsinn:
'Warum solcher Zorn? Das ist die Frage seines Lebens. ...
Sein Seelenverwandter starb im Krieg mit 19 … Vidal trug die Wunde ein Leben lang – und schuf sich einen Panzer aus Witz, Wut und Gelehrtheit, um sich vor einem weiteren Verlust zu schützen. Aber es kam eine weiterer. Vidals zweite große Liebe, die amerikanische Republik, starb 1941 im Krieg. Daher wurzeln so viele seiner Schriften im Zorn.'

Diesem psycho-politischen Gequatsche fügte Sullivan die Standardverleumdung hinzu:
'Vidal zerstörte seine Sache durch Übertreibung und natürlich durch absurde moralische Äquivalenz. Es gab Zeiten, wo er wütend die Gräuel, die von Amerikas Feinden begangen wurden, übersah – wie der Vietkong oder Al Qaida – und nie versäumte, Amerikas eigene Heuchelei und Paranoia und gelegentliche plumpe Grausamkeit in Übersee zu bemerken.'

Es ist verlockend, Sullivans eigene Auffassung von Amerikas Grausamkeit als 'gelegentlich', 'plump' und 'in Übersee' einer Psychoanalyse zu unterwerfen. Er schloss über Vidal: 'seine [schwule] sexuelle Orientierung war sicher zentral dafür: sie entfachte den Kummer, dass er nie der Staatsmann werden konnte, wonach er sich einst sehnte, in einem Land, das er in der Folge zu hassen lernte'.

Es gibt eine alternative Erklärung: Vidal hatte ein funktionierendes Gehirn und Herz und einen hinreichend unabhängigen Geist, um die Massenmorde von Unschuldigen als Verfolgung von Profitmaximierung der USA zu begreifen.
David Aaronovitch schrieb in The Times:

'Stück für Stück verwandelte sich Vidal aus einem Denker in einen Polemiker. Seine politischen Essays, heiß geliebt in der anti-amerikanischen Presse hier, nahmen eine leicht verstörte Qualität an.' (Aaronovitch ' Praise to the man who beat about Mr Bush; Gore Vidal dazzled in his early novels and essays, but gradually turned into a mildly unhinged isolationist', The Times, 02.08. 2012)
Die Leser werden schwerlich ein besseres Beispiel finden für das, was Psychologen 'Projektion' nennen.

Als Echo einer Standardobsession titelte der Guardian: 'Adam Mars-Jones – my lunch im Dorchester mit Gore Vidal'. Mars-Jones kommentierte: 'Wenige Schriftsteller haben so viel Talent gezeigt bei der Benutzung des Fernsehens, um ihr öffentliches Image aufrechtzuerhalten'. In Wirklichkeit, wie Vidal klar macht, ist seine politische Analyse lange von unseren Schirmen verbannt gewesen:

'Die Presse druckte mich nicht, das Fernsehen war mir verschlossen, ich war ausradiert. Noam Chomsky hatte nie eine Chance, er hatte nie ein großes Publikum; aber ich hatte eines durch meine Bücher und Filme und Stücke und natürlich die Essays. Jetzt bin ich nie mehr Gast irgendwo, wo ich Ärger verursachen könnte, wo ich etwas sagen könnte, das sie verwirrend finden würden, was praktisch alles wäre, was ich darüber zu sagen hätte, wie das Land geführt wird. Ich bin also das perfekte Beispiel für Zensur in den Vereinigten Staaten.' ('I am the perfect example of censorship in the United States'. Gore Vidal talks to Michael March about history, the cold war and who really runs America, The Guardian, 29. 03.2012)



Man denke daran, dass Vidal ein selten ehrlicher und redegewandter Gegner des Irak-Krieges gewesen ist. Im Oktober 2002 checkten wir die Website des Guardian/Observer und fanden, dass Irak in 2381 Artikeln genannt wurde, in jenem entscheidenden Propandajahr, bevor der Krieg im März 2003 begonnen wurde. Bis zum 19. Oktober wurden die Wörter 'Bush' und 'Irak' in 1263 Artikeln genannt. Die Wörter 'Gore Vidal' und 'Irak' kamen in sieben Artikeln vor.

    Gerade weil Vidals abweichende Meinung von den Medien ausgeblendet wurde, konnte der Telegraph diesen Nachruf-Version auf niedrigstem Niveau vom Stapel lassen:

'In den 80-er Jahren beobachtete Vidal, dass die Politik durch das Fernsehen trivialisiert wurde, seine Substanz und Debatten durch flimmernde Bilder ersetzt wurden, seine Figuren sich in Sprechautomaten verwandelten, die nur Sekunden erhielten, um Argumente über die Zukunft der Nation und der Welt vorzutragen.'

Er 'entdeckte ein Versagen von Erziehung, Sitten im Niedergang und politische Führer, die zynisch, ignorant und blind für die Realitäten der äußeren Welt sind'.

Die Analyse war selbst ein gutes Beispiel der Art von Trivialisierung, die sie beschrieb. Seit Vidals Tod hatten die Mainstream-Medien schlichtweg nichts Ernstes zu sagen über seinen politischn Widerspruch gegen die Dominanz der korporativen Macht.

Vidals Zusammenfassung verallgemeinert die englischen Medien und die Politik sehr gut:
„Die Kuhscheiße fließt und fließt und fließt, und die amerikanischen Medien sind so korrupt und stecken so tief drinnen, dass sie es nie in Frage stellen.'

Quelle - källa - source

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