Mittwoch, 18. Juli 2012

Der NATO-Blitzkrieg in Libyen und die kommenden Kolonialkriege

Einen besonderen Dank an Dan Glazebrook für diesen ausgezeichneten Artikel und auch an Susanne für ihre Übersetzung, die sie mir gleich zuschickte. Was da dem libyschen Volk angetan wurde, wird ein ewiger Schandfleck für unsere ach so überlegene und hochstehende abendländische Zivilisation bleiben. Aber auch für die elenden Kreaturen derjenigen arabischen und afrikanischen Führer, die feige und kriecherisch der Zerstörung Libyens und Knechtung des Volkes zugestimmt und zugeschaut haben. Denn - wie Dan schreibt - das Blut, das auf libyschem Boden vergossen wurde, wird noch hundertfach über die arabischen und afrikanischen Länder kommen - durch das Schwert von AFRICOM.


Dan Glazebrook

Översatt av  Susanne Schuster


Für eine Vision Afrikas unter der Führung von AFRICOM muss man nicht weiter blicken als Libyen, der afrikanische Modellstaat der NATO: verurteilt zu jahrzehntelanger Gewalt und Trauma durch militärischen Kolonialismus.
Mit jedem Tag der vergeht, wird das Ausmaß der laufenden Tragödie in Libyen, verursacht von der NATO und ihren Alliierten, immer klarer – auf erschreckende Weise. Die geschätzte Zahl der Getöteten schwankt, doch 50.000 scheint im niedrigen Bereich zu liegen. Das britische Verteidigungsministerium prahlte schon im Mai 2011, dass der Angriff 35.000 Menschen getötet hätte, doch diese Zahl steigt ständig.

Die Vernichtung der staatlichen Streitkräfte durch einen von britischen, französischen und US-amerikanischen Streitkräften geführten Blitzkrieg hat das Land in einem Zustand totaler Anarchie hinterlassen – im schlimmsten buchstäblichen Sinn. Die früheren ‚Rebellen’ kämpfen nun gegeneinander, denn sie verband sonst nichts als eine vorübergehende Bereitschaft, als Fußsoldaten für die NATO zu agieren. In einer einzigen Woche in diesem Jahr wurden 147 von ihnen bei internen Kämpfen im Süden Libyens getötet. Und in den vergangenen Wochen gerieten Regierungsgebäude – einschließlich die Räumlichkeiten des Premierministers – unter Beschuss von ‚Rebellen’, die für ihre Dienstleistungen Bargeld verlangten. Bisher wurden schon 1,4 Milliarden US-Dollar ausgezahlt – was erneut beweist, dass die Kräfte der NATO- Kolonisation und nicht Gaddafi von ‚Söldnern’ abhängig waren – doch die Zahlungen wurden letzten Monat aufgrund weitverbreiteter Vetternwirtschaft ausgesetzt. Die Korruption wird langsam endemisch – ein zusätzlicher Betrag von 2,5 Milliarden US-Dollar an Öleinnahmen, der an das Finanzministerium hätte überwiesen werden sollen, bleibt verschwunden.



Libyens Ressourcen werden nun von den Ölkonzernen und einer Handvoll auserwählter Familien aus der neuen Elite des Landes geplündert, ein klassisches neokoloniales Ränkespiel. Der Einsatz dieser Ressourcen in gigantischen Infrastrukturprojekten wie der große menschengemachte Fluss (Great Manmade River) und die massive Anhebung der Lebensstandards in den letzten vier Jahrzehnten (seit Gaddafis Machtübernahme 1969 stieg die Lebenserwartung in Libyen von 51 auf 77 Jahre) scheint traurigerweise bereits der Vergangenheit anzugehören.

Doch wehe dem, der dies jetzt erwähnt. Es wurde vor langem beschlossen, dass Unterstützer Gaddafis bei der Wahl nicht als Kandidaten antreten durften, doch die jüngsten Änderungen gehen sogar noch weiter. Die neue, von der NATO eingesetzte Regierung verabschiedete letzten Monat Gesetz 37. Damit wurde die ‚Glorifizierung’ der früheren Regierung oder ihres Führers strafbar gemacht und darauf steht die Höchststrafe: Lebenslänglich. Schließt dies auch eine beiläufige Bemerkung ein, dass die Dinge unter Gaddafi besser waren? Das Gesetz wurde schlauerweise so vage formuliert, dass es unterschiedlich ausgelegt werden kann. Es ist ein Rezept für institutionalisierte politische Verfolgung.
Sogar noch bezeichnender für die Verachtung, die die neue Regierung dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit entgegenbringt – man erinnere sich: eine Regierung, die noch nicht einmal den Anschein demokratischer Legitimität erworben hat, und deren einzige Machtbasis die bewaffneten Kolonialmächte bilden – ist Gesetz 38. Dieses Gesetz garantiert nun rechtliche Immunität für alle, die ‚zwecks der Förderung oder des Schutzes der Revolution’ Verbrechen begangen haben. Diejenigen, die für die ethnische Säuberung Tawerghas verantwortlich sind – wie die selbsternannte ‚Brigade für die Eliminierung der Schwarzen’ – können ihre Jagd auf die Flüchtlinge der Stadt fortsetzen, im vollen Bewusstsein, dass sie das neue ‚Gesetz’ auf ihrer Seite wissen. Diejenigen, die für die Massaker in Sirte und andernorts verantwortlich sind, haben nichts zu befürchten. Diejenigen, die beim weitverbreiteten Foltern von Inhaftierten mitmachen, können ohne Konsequenzen weitermachen – solange es dem ‚Schutz der Revolution’ dient – d. h. der Aufrechterhaltung der aus der NATO und dem Nationalen Übergangsrat bestehenden Diktatur.

Das ist die Realität des neuen Libyens: Bürgerkrieg, verschwendete Ressourcen und gesellschaftlicher Zusammenbruch; zu sagen, dass man die Tage lieber mochte, in denen es Libyen gut ging und Frieden herrschte, ist ein Verbrechen, doch Lynchmorde und Folter werden erlaubt, ja sogar gefördert.

Überdies ist die Katastrophe nicht auf Libyen beschränkt geblieben. Die Destabilisierungskampagne hat bereits Mali erreicht und dort einen Staatsstreich ausgelöst. Eine große Zahl von Flüchtlingen – darunter vor allem Libyens zahlreiche schwarze Migranten – ist in die Nachbarländer geflohen, in einem verzweifelten Versuch, Luftangriffen und Lynchmobs zu entkommen, was die Ressourcensituation andernorts noch weiter verschärft. Viele libysche Kämpfer, nach getaner Arbeit in Libyen, sind nun von ihren imperialistischen Herren nach Syrien verschifft worden, um ihre sektiererische Gewalt dort zu verbreiten.

Am besorgniserregendsten für den afrikanischen Kontinent ist aber das Voranschreiten von AFRICOM – das Einsatzkommando des US-Militärs für Afrika – im Zuge der Aggression gegen Libyen. Es ist kein Zufall, dass nach dem Fall von Tripolis kaum ein Monat verging – es war derselbe Monat, in dem Gaddafi ermordet wurde: Oktober 2011 -, als die US-Regierung die Entsendung von Soldaten in nicht weniger als vier afrikanische Länder ankündigte: die Zentralafrikanische Republik, Uganda, Südsudan und die Demokratische Republik Kongo. AFRICOM hat eine beispiellose Zahl von 14 wichtigen gemeinsamen Militärübungen in afrikanischen Ländern für 2012 angekündigt.

Nichts von alledem ware möglich gewesen, als Gaddafi noch an der Macht war. Als Gründer der Afrikanischen Union, ihr größter Geldgeber und ehemaliger gewählter Vorsitzender übte er erheblichen Einfluss auf dem Kontinent aus. Es war zum Teil ihm zu verdanken, dass die US-Regierung gezwungen war, das Hauptquartier von AFRICOM bei seiner Gründung im Februar 2008 in Stuttgart anzusiedeln, statt in Afrika selbst: er bot afrikanischen Regierungen, die die Errichtung eines US-Militärstützpunktes ablehnten, Geld und Investitionen. Unter seiner Führung besaß Libyen schätzungsweise 150 Milliarden US-Dollar an Investitionen in Afrika und der Vorschlag Libyens, finanziell unterstützt mit 30 Millarden US-Dollar in bar, eine Entwicklungsbank der Afrikanischen Union einzurichten, hätte die finanzielle Abhängigkeit Afrikas vom Westen ernsthaft reduziert. Kurzum: Gaddafis Libyen stellte für AFRICOM das größte Hindernis dar für die Durchdringung des Kontinents.

Nun, da er weg ist, intensiviert AFRICOM seine Arbeit. Die Invasionen in Irak und Afghanistan zeigten dem Westen, dass Kriege, in denen ihre eigenen Bürger sterben, unbeliebt sind. AFRICOM wurde geschaffen, um sicherzustellen, dass in den kommenden Kolonialkriegen gegen Afrika Afrikaner das Kämpfen und Sterben erledigen und nicht Bürger aus den westlichen Ländern. Die Kräfte der Afrikanischen Union sollen unter einer US-geführten Weisungskette in AFRICOM integriert werden. Gaddafi hätte das nie toleriert; deshalb musste er gehen.

Für eine Vision Afrikas unter der Führung von AFRICOM muss man daher nicht weiter blicken als Libyen, der afrikanische Modellstaat der NATO: verurteilt zu jahrzehntelanger Gewalt und Trauma, und völlig unfähig, sein eigenes Volk zu versorgen, geschweige denn einen Beitrag zu regionaler oder afrikanischer Unabhängigkeit zu leisten. Der neue militärische Kolonialismus in Afrika darf nicht einen Zentimeter weiter voranschreiten.

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